Chiloé – 48 Stunden auf der grünen Insel

Unterhalb von Puerto Montt befindet sich ein kleiner grüner Archipel, der aus der Isla Grande de Chiloé (große Insel von Chiloé) und einigen kleinen Inseln besteht. Die Hauptinsel ist am besten per Fähre (in manchen Monaten nur ein paar Mal in der Woche) zu erreichen. Zwischen Pargua auf dem chilenischen Festland und Chacao an der nördlichen Spitze von Chiloé bestehen regelmäßige, etwa halbstündige Verbindungen über den etwa 2 Kilometer breiten Kanal von Chacao. Eine geplante Brücke wurde dort als dauerhafte Lösung letztendlich nicht umgesetzt. Ansonsten ist die Inselgruppe noch per Flugzeug zu erreichen.

Doch genau diese Abgeschiedenheit vom Festland macht den besonderen, etwas verträumten und sehr entspannten Charakter von Chiloé und seinen Nebeninseln aus.

Man sieht bereits einiges davon, wenn man die 180 Kilometer lange (und 50 Kilometer breite) Hauptinsel mit dem Bus überquert. Durch das Inselinnere zieht sich die Hügelkette Cordillera de Piuchué mit maximal 866 Metern Höhe. Im Westen der Insel befindet sich der 430 Quadratmeter große Parque Nacional Chiloé. Im Nationalpark gibt es bis heute einige kleine Dörfer, in denen die ursprünglichen Einheimischen der Insel nach alter Tradition leben. Viele der insgesamt rund 150.000 Bewohner von Chiloé – man nennt sie auch Chiloten – stammen vom Volk der Huilliche ab.

Die erste Stadt auf der größten (richtigen) Insel Chiles erreicht man direkt nach der Ankunft mit der Fähre: Ancud. Bei Regen weder schön noch richtig hässlich. Buntgestrichene Häuser aus Holz, bei vielen blättert schon die Farbe ab. Vieles ein bisschen improvisiert. Von dort aus kann man unter anderem Touren zu den rund 30 Kilometer südwestlich im Pazifik gelegenen kleinen Islotes de Puñihuil buchen, um neben zwei Pinguinarten auch Seelöwen und viele Meeresvögel sehen. Dazu blieb uns leider keine Zeit, aber es soll wirklich toll sein.

Weiter geht es übers Land. Kleine Flüsschen schlängeln sich dann und wann durch die saftig grüne Landschaft. Laub- und Nadelbäume in verschiedensten Tönen setzen sich zu vielseitigen Wäldchen zusammen. Dazwischen wächst Farn oder farblich auffällig leuchtend wilder gelber Ginster. Vor den einfachen Häusern und auf den Wiesen tummeln sich Kühe und Schafherden, manchmal suhlt sich auch eine Schweinefamilie. Menschen allerdings sieht man wenige draußen auf dem Land. Alles ist ruhig und beschaulich. Entspannung und Gelassenheit stellen sich ein. Vor allem, weil ja Weihnachten ist.

Das Klima auf der Inselgruppe ist mild, aber auch sehr feucht. Regen ist daher nichts Ungewöhnliches. Das Wetter erklärt die grüne Weite und den fruchtbaren Boden der Insel. Chiloé gilt – neben Peru – als eine der möglichen Ursprungsregionen der Kartoffel. Bis heute ist die Landwirtschaft, neben dem Tourismus und dem Fischfang, eine der wichtigsten Einnahmequelle der Inselbewohner.

Die Inselhauptstadt erkunden

Erst wenn man in Castro ankommt wird es wieder wuseliger. Wir haben in der kleinen und modernen Hauptstadt etwa in der Mitte der Insel zwei Nächte verbracht. Mit ihren mittlerweile über 40.000 Einwohnern zieht sie sich nicht nur an der Küste entlang, sondern auch die umliegenden Hügel hinauf.

Der erste Spanier betrat bereits 1553 die größte Insel des Archipels, nachdem es bereits einige Jahre zuvor mit dem Schiff umrundet worden war. Doch erst 1559 nahm man auch Kontakt zu den Einheimischen auf. Die Hauptstadt Castro an der Ostküste wurde schließlich 1567 gegründet. Anfang des 17. Jahrhundert erreichten Jesuiten die Insel und errichteten erste Kirchen, um die indigenen Huilliches zu missionieren und den Spaniern zu unterwerfen.

Bis Mitte des 17. Jahrhunderts wurde das hauptsächlich von Farmern bewohnte Castro einige Male von holländischen Piraten überfallen. Als die Hauptstadt Chiloés 1788 von Castro nach Ancud verlegt wurde, minimierten sich die Einwohnerzahlen. 1837 zerstörte ein Erdbeben die Stadt fast komplett. Dennoch ist Castro bis heute die drittälteste Stadt in Chile, die ohne Unterbrechungen bewohnt ist.

1912 sorgte eine Eisenbahnverbindung zwischen den beiden Städten wieder für wirtschaftlichen Aufschwung. Doch bei einem der schwerwiegendsten Erbeben in Chile wurden 1960 nicht nur die Zugstrecke, sondern viele Gebäude in Castro zerstört. Seit 1982 ist es jedoch wieder die Hauptstadt der Insel.

Berühmt ist Castro für seine Palafitos (Pfahlbauten) entlang der Küstenstraße Calle Pedro Montt, die ehemals von den Fischern bewohnt wurden. Die bunten Häuschen auf ihren hohen Stelzen aus Zypressenholz, die sie vom Wasser fernhalten, sind heute in sehr unterschiedlichem Zustand. Einige wurden aufwändig und modern renoviert, beherbergen Hotels und Restaurants, während andere (leider) dem Verfall überlassen werden. Viele der Stelzenhäuser fielen auch dem schweren Erdbeben von 1960 und dem darauffolgenden Tsunami zum Opfer.

Bei Ebbe stehen einige der bunten Palafitos schon mal auf dem Trockenen. Doch bereits einige Stunden später kommt das Wasser zurück und macht die Emporhebung auf die dicken Zypressenstämme notwendig.

Am Hauptplatz Plaza de Armas steht die größte Stabkirche der Insel, die Iglesia de San Francisco. Bereits 1567 befand sich an dieser Stelle ein Kirchengebäude. Die heutige Kirche wurde ursprünglich als neogotischer Steinbau von einem europäischen Architekten geplant. Doch die Chiloten wandelten die Pläne einfach um in ein für sie typisches Holzkonstrukt und erbauten es (innen und außen) in heimischem Holz. Auffällig ist vor allem das für eine Kirche eher ungewöhnliche Erscheinungsbild, leuchtet sie doch in knalligem Gelb und Lila. Neben ihren 42 Meter hohen Türmen macht sie das weithin sichtbar.

Die berühmten hölzernen Stabkirchen der Insel, die nach skandinavischem Vorbild vor allem im 18. und 19. Jahrhundert errichtet wurden, sind noch heute in vielen Ortschaften Chiloés zu bewundern. Ohne Nägel erbaut und nur durch spezielle Holzverbindungen zusammengehalten, sind sie Zeugnis besonderer Baukunst. Von der UNESCO wurden einige der Stabkirchen 2000 als Weltkulturerbe anerkannt.

Am Ufer unterhalb der Innenstadt gibt es eine Werft, in der Fischerboote noch im traditionellen Stil gebaut und bunt angepinselt werden. Einige davon liegen immer in der Bucht, die Teil des Golfes von Ancud ist, vor Anker. Fest aneinander vertaut ergeben sich fotogene Bootsensembles. 

Manchmal drehen die an der Küste rund um die Insel heimischen Seelöwen ihre Runden durch die Bucht – am liebsten dann, wenn die Fischer gerade den Fang des Tages einbringen.

Die Fería de Artesanía (Kunsthandwerkermarkt) an der Küste war über die Feiertage leider weitestgehend geschlossen. Aber die freien Tage seien den Einheimischen gegönnt.

Durchgeschüttelt werden und auf die große Welle warten

Die Ruhe vor dem Sturm. An einem beschaulichen Weihnachtsmorgen rechnete niemand mit der plötzlichen Wucht des Erdbebens aus der Tiefe des Pazifiks.

Der Besuch auf der Insel Chiloé hatte für uns einige besondere Überraschungen bereit, die man so sicher – und vor allem Gott sei Dank – nicht alle Tage erlebt. Am ersten Weihnachtsfeiertag (der in Chile zwar keiner ist, 2016 aber auf einen Sonntag fiel) hat mittags eigentlich noch ganz Castro geschlafen. Einige wenige waren zum Gottesdienst in der großen Iglesia de San Francisco eingekehrt, doch sonst schien alles ruhig und gemütlich. Bis plötzlich die Erde anfing zu wackeln. Und das nicht nur ein bisschen!

Ein Beben der Stärke 7,6 – wie wir später erfahren haben – erschütterte das südliche Küstengebiet von Chile. Einige Nachbeben folgten. Strom- und Telefonleitungen waren vorübergehend unterbrochen. Die chilenischen Behörden gaben daraufhin eine Tsunami-Warnung für die Küstenorte heraus. Diese wurde allerdings nur anderthalb Stunden aufrechterhalten, da das Wasser nicht wie erwartet anstieg. Das war dann doch erleichternd, lag unsere Unterkunft doch quasi direkt am Wasser – mit all unserem Hab und Gut (was nicht gerade viel ist derzeit) … Insgesamt gab es nur einige Schäden an Häusern und Straßen, aber glücklicherweise keine Verletzten.

Der erwartete Anstieg des Wassers blieb aus – Gott sei Dank. Die Lage in der Bucht und die kleinen, vorgelagerten Inseln schützen Castro zudem vor allzu großen Schäden.

Das Beben ereignete sich etwa 28 Kilometer südwestlich der Hafenstadt Quellón tief unten im Pazifik. Das passiert häufig in Chile, denn das Land liegt unmittelbar am Pazifischen Feuerring. Dieser u-förmige, etwa 40.000 Kilometer lange Vulkangürtel (rund 450 Vulkane sind hier aktiv), der den Pazifischen Ozean umgibt, ist Kollisionspunkt mehrerer kontinentalen und ozeanische Platten. Und da diese ständig in Bewegung sind und dadurch die Gebirgskette der Anden hochdrücken, kommt es in Chile immer zu Erdstößen, Vulkanausbrüche und Tsunamis.

Einen (kulinarischen) Ausflug machen

Mit seinen nur knapp 5.000 Einwohner macht das Örtchen Dalcahue einen noch verschlafeneren Eindruck, als die Hauptstadt. Knapp eine halbe Stunde Fahrtzeit (mit dem lokalen Bus) entfernt, bietet es sich dennoch für einen kurzweiligen Ausflug an. Hier steht eine weitere der berühmten chilotischen Holzkirchen, die Iglesia de Nuestra Señora de los Dolores. Auch sie gehört seit 2000 zum Weltkulturerbe. Die Außenwände der Kirchen sind wetterfest mit hübschen Holzschindel bedeckt.

Vor allem aber kommt man nach Dalcahue, um in den Cocinerias (Garküchen) unten am Wasser Curanto zu probieren. Der Muscheleintopf aus Muscheln, Fisch, Kartoffeln, Fleisch, Wurst und Wurzelgemüse ist quasi das Nationalgericht der Insel. Traditionell wird er in einem Erdloch gegart, doch das wird auch auf Chiloé nur noch zu besonderen Festen gemacht. In Dalcahue isst man das zugegebenermaßen sehr gewöhnungsbedürftig aussehende Gericht, das aber wirklich gut schmeckt, mit Blick aufs Wasser aus den runden Bullaugenfenstern der Cocinerias.

Cocinerias de Dalcahue
Pedro Montt (Feria Artesanal), Dalcahue

In den etwa acht Lokalen (Cocineras) bekommt man nicht nur Curanto, sondern auch andere Fischgerichte, Suppen und chilotisch-chilenische Speisen aufgetischt. Einfach hinsetzten, bestellen und den Ausblick genießen.

Sagenhaften Gestalten begegnen

Trotz des sich verbreitenden Katholizismus auf Chiloé erhielten sich die Huilliche einige ihrer Mythen, die sich so wunderbar mit dem Aberglauben der spanischen Eroberer mischten. Einige der Geschichten über Trolle, Hexen und Zauberer erzählt man sich auf der Insel bis heute. Die Sagengestalt des Trauco kennt bereits jedes Kind. Er beschützt nicht nur den Wald, sondern soll auch mit Vorliebe Jungfrauen entführen. Dadurch wurde er bei den Huilliche häufig genutzt, um ungewollte Schwangerschaften zu erklären.

Wer abends in der Ferne auf dem Ozean ein beleuchtetes Schiff mit weißen Segeln entdeckt, auf dem die Crew zu lauter Musik ausschweifend zu feiern scheint, der sollte schleunigst das Weite suchen, so glauben die Einwohner Chiloés. Denn die Caleuche ist ein Geisterschiff, das sich zur Tarnung in Felsen oder Baumstämme verwandelt oder einfach untertaucht. Und manchmal sammelt sie einen ein und man wird Teil des feuchtfröhlichen Gelages an Bord.

Diese Geschichten werden von Generation zu Generation weitervererbt und gehören ebenso zu Chiloé, wie seine grüne Weite und die frischen Fischgerichte.

Wer noch etwas mehr über die wunderschöne Insel Chiloé erfahren möchte, findet unter anderem bei Bergzeit.de einen entsprechenden Artikel.

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