Nazca – Geheimnisvolle Linien im Sand

Wie unordentliche Bettdecken knubbeln sich die Bergketten rund um Nazca (oder auch Nasca) und die Panamerica entlang. Unter anderem befindet sich hier die höchste Sanddüne der Welt. In dem kleinen, entspannten Städtchen mit gerade einmal 35.000 Einwohnern ist es morgens und abends kalt, tagsüber jedoch herrschen warme bis heiße Temperaturen – typisches Wüstenklima. Da es kaum regnet, ist man auf das Wasser aus den umliegenden Bergen angewiesen. Auch damit das Obst der zahlreichen Plantagen gedeiht. Das Leben in Nazca findet rund um den Plaza de Armas statt. Bis nachts kann man unbedenklich durch die Straßen des beschaulichen Städtchens laufen.

Von der Stadt aus kann man in einem oder mehreren Tagesausflügen die Umgebung erkunden. Die wohl spannendste Sehenswürdigkeit Nazcas erstreckt sich auf rund 500 Quadratkilometern: Las Lineas de Nazca. Viele Legenden ranken sich um die riesigen Zeichnungen im Wüstensand, die man nur von oben richtig sehen kann. Auf der trockenen Hochebene zwischen dem Río Nazca und dem Río Ingenio gibt es nicht nur jahrhundertealte Darstellungen von Tieren und Menschen, sondern auch komplexe geometrische Figuren und kilometerlange, exakt gerade Linien.

Das Geheimnis dieser sagenumwobenen Bilder wurde seit ihrer Entdeckung 1926 bzw. 1939 nicht gelüftet. Mehrere Theorien wollen Erklärungen für ihren Ursprung geben. Und nicht nur bei Nazca, sondern auch rund eine Stunde weiter nördlich, in der Nähe des kleinen Ortes Palpa, wurden vor rund 20 Jahren einige weitere Figuren entdeckt. Dort haben wir unsere Tour – auf eigene Faust und mitunter etwas abenteuerlich – gestartet.

Mit dem Colectivo (Kleinbus, ca. S/.5) kommt man am einfachsten von Nazca nach Palpa, die Fahrt dauert knapp eine Stunde. Zu Fuß gelangt man von dort aus zum Mirador (Aussichtspunkt) El Reloj Solar, von dem aus man das sehr gut sichtbare Bildnis einer Sonnenuhr der prähispanischen Nasca-Kultur (200 vor bis 700 nach Christus) betrachten kann. Neben einer Spirale gibt es eine Reihe von Linien, die sich durch das gesamte Tal erstrecken.

Warum dieses und die anderen Bilder noch so gut sichtbar sind, erklärt sich durch den wenigen Regen und die Tatsache, dass der Wind regelmäßig den Staub von den Steinen weht. Die Wüste reinigt sich quasi selbst und erhält gleichzeitig die „Zeichnungen“, die einst durch das Abtragen von Steinen und Wüstenboden entstanden.

Eine verlorene Stadt finden

Die nächste Station unseres Ausflugs ist eine eher unbekanntere Sehenswürdigkeit, die sich aber definitiv lohnt und Geschichte zum Anfassen bietet. Etwas außerhalb von Palpa, etwa 20 Minuten weiter nördlich liegt Santa Cruz, von wo aus man die etwa 4 Kilometer entfernte Ciudad Perdida de Huayurí (verlorene Stadt) besuchen kann. Hierhin hat uns ein Taxi mitgenommen (und auch wieder abgeholt), nach Santa Cruz ein Auto auf dem Weg nach Lima.

Auf den ersten Blick scheint der einsame Ort wenig spektakulär, doch je weiter man in das kleine Tal hineinwandert, desto mehr offenbart sich von der riesigen Stadt, die es hier einmal gegeben haben muss. Es war kein heiliger Ort, sondern eine Wohnsiedlung mit einem Ausmaß von rund 15 Hektar. Davon zeugen noch heute zahlreiche Scherben von Gefäßen des täglichen Gebrauchs.

Die Gebäude wurden ursprünglich von der Poroma-Kultur errichtet. Sie lebten zur gleichen Zeit wie die Ica und die Chincha, etwa 1100 bis 1476 nach Christus. Auch nach dem Untergang des Wari-Imperiums, während der Herrschaft der Inca (1476 bis 1534 nach Christus) und vermutlich auch noch zu Beginn der Kolonialherrschaft der Spanier war die Siedlung bewohnt. Lange, breite Straßen verbanden die einzelnen Bereiche der Stadt miteinander und erschufen, zusammen mit kleineren Straßen, eine beeindruckende Infrastruktur, die noch heute in Teilen sichtbar ist.

Auf dem Rückweg haben wir einen kurzen Stopp bei El Huarango Milenario gemacht, einem verzweigten, jahrhundertealten Baum mitten in der Wüste. Er ist einer der älteste Bäume seiner Art in Südamerika.

Sagenumwobene Zeichnungen betrachten

Nach einem guten Mittagessen in Palpa nahmen wir einen Bus Richtung Süden und sind am Mirador de Llipata ausgestiegen. Hier kann man einige kleine Figuren auf einem Bergrücken bestaunen (dazu muss man nicht unbedingt den Aussichtsturm besteigen). Sie zeigen die Welt, wie sie von den indigenas (Ureinwohnern) gesehen wurde und woran sie glaubten. Forschern zufolge entstanden die ersten dieser Bilder zur Zeit der Paracas-Kultur um 400 vor Christus. Demnach wären sie weit über 2.000 Jahre alt.

Weiter ging es mit dem nächsten Bus zum zweiten, bekannteren Aussichtsturm an der Panamerica, dem Mirador de Nazca. Hier kann man auch sehen, dass die Schnellstraße einige der Figuren und Linien regelrecht „zerschnitten“ hat. Reifenspuren machen es zusätzlich an manchen Stellen schwieriger, die Scharrbilder klar zu sehen. Den besten Blick hat man wohl aus der Luft, wie auch der Amerikaner Paul Kosok, der die erste Figur 1939 beim Überfliegen der Hochebene erkannte. Bereits über zehn Jahre zuvor, im Jahr 1926, hatten Archäologen einige seltsame Zeichen im Wüstensand bei Nazca entdeckt.

Die Person, die unmittelbar mit den Linien in Verbindung gebracht wird und der ihre Erforschung und Erhaltung in großen Teilen zu verdanken ist, ist die deutsche Mathematikerin und Geografin Maria Reiche. Sie war so fasziniert von den Zeichnungen, dass sie ihnen über 40 Jahre ihres Lebens widmete. Mit Leiter, Zollstock und Besen ausgestattet durschritt sie die Ebene in alle Richtungen und begann, die Linien zu vermessen und maßstabsgetreue Zeichnungen von ihnen anzufertigen. Mit der Zeit kamen auf einem 50 Kilometer langen und 20 Kilometer breiten Streifen immer mehr Darstellungen zum Vorschein. Zu den bekanntesten zählen El mono (der Affe), El Cóndor (der Kondor) und El Colibrí (der Kolibri).

El árbol (der Baum) ist eine verzweigte Figur, die vom Mirador de Nazca aus gut zu erkennen ist.
Auch Los manos (die Hände) mit den neun Fingern kann man von oben wunderbar sehen.

Maria Reiche vermutete hinter dem komplexen Netz aus Linien und Figuren, die sich teilweise sogar chaotisch überlappen, einen astronomischen Kalender, der Sonne, Mond und Sterne einbezieht. Als Entstehungszeit der Bilder gab sie eine Periode zwischen 300 und 700 vor Christus an. Auch Paul Kosok interpretierte die Linien als eine Art Astronomiebuch, vielleicht das größte der Welt.

Nach wie vor erstaunlich ist, dass die Figuren für die Menschen, die sie geschaffen haben, vermutlich kaum im Ganzen sichtbar waren. Dies legt nahe, dass es sich um zeremonielle Wege handelt, die über Generationen hinweg für die Götter geschaffen wurden. Die Figuren selbst könnten einzelne Stämme repräsentieren. Viele der Linien führen Richtung Berge und damit zur Quelle von Wasser, welches in der Wüste rar ist. Das würde sie zu einer Art Bitte für die Götter um Versorgung und Fruchtbarkeit des Gebietes machen.

Manch einer bringt die Linien sogar mit Außerirdischen in Verbindung und sieht in den Darstellungen einen Beweis für die Existenz von (unbekannten) Fluggeräten. Die wahre Bedeutung der Lineas de Nazca bleibt jedenfalls bis heute verborgen.

Von einigen Hügeln nahe des Mirador de Nazca (zu Fuß etwa eine halbe Stunde südlich), die als natürlicher Aussichtspunkt dienen, sind die Figuren kaum zu erkennen, doch man kann deutlich die Ursprünge und Beschaffenheit einiger Linien sehen. Ein faszinierender Anblick der eher Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Dennoch bleibt man mit einem Gefühl von Erstaunen und Ehrfurcht über so viel Wissen, Fertigkeit und Vorstellungsvermögen zurück.

Mit dem Bus geht es am späten Nachmittag zurück nach Nazca. Wenn man Pech hat, muss man einige Zeit an der Panamerica warten, bis ein Bus anhält. Dafür kann man bei Sonnenuntergang noch einmal den Ausblick in die weite Ebene und die Panamerica entlang genießen.

Sterne und Planeten ganz nah sehen

Ein absoluter Geheimtipp ist das Planetario María Reiche mitten in Nazca. Das im Garten des Las Dunas Hotel ­– wo Maria Reiche viele Jahre lebte – untergebrachte kleine Gebäude bietet nicht nur einen interessanten und vielseitigen Bericht (in Wort und Bild) über die Linien von Nazca, sondern lässt einen auch einen ganz nahen Blick auf Planeten und Sterne werfen. Sehr anschaulich werden zudem Sternbilder und Himmelskonstellationen erklärt. Wunderschön!

Planetario María Reiche
Las Dunas Hotel
Bolognesi 147, Nazca

Jeden Abend um 19.00 Uhr gibt es einen Vortrag auf Englisch, um 20.15 Uhr auf Spanisch

Der Eintritt kostet S/. 20, mit ISIC-Card S/. 10

Ein Kommentar bei „Nazca – Geheimnisvolle Linien im Sand“

  1. Wieder einmal ein sehr anschaulicher Bericht, dem man die Begeisterung der “Travelbiters” anmerkt 😉 !! Lieben Dank dafür!! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie und wovon diese Menschen damals gelebt haben, aber die Gegebenheiten waren vor Jahrtausenden sicherlich auch noch andere. Aber wir sind in unserer Zivilisation auch sehr verwöhnt, da fehlt es oft an Vorstellungskraft für Vergangenes 😉 !!

Schreibe einen Kommentar